Kleinkind mit einem Plastikspielzeug im Mund

Chemikalien in Artikeln für Kinder

Der Verbraucherrat hat mehrere Studien betreffend Chemikalien in Spielzeug und anderen Artikeln für Kinder in Auftrag gegeben. Die ersten Arbeiten haben sich in den Jahren 1996 - 2000 mit dem Thema Freisetzung von Weichmachern aus Spielzeug befasst. Bei praktischen Lutsch-experimenten mit Studenten/innen — weltweit die ersten dieser Art — konnte gezeigt werden, dass die gelösten Mengen weit höher sein können, als bei statischen Migrationsprüfungen von Lebensmittelkontakt-materialien. Der Verbraucherrat hatte auch eine führende Rolle bei der Ausarbeitung von analytischen Methoden für Weichmacher in einem europäischen Normenprojekt zum Thema organische Chemikalien in Spielzeug. Er hat sich seit mehr als 25 Jahren im Bereich Spielzeugsicherheit engagiert.

Außerdem vertrat der Leiter des Büros des Verbraucherrates (Franz Fiala) die europäischen Verbraucherorganisationen in einer Arbeitsgruppe der Kommission betreffend Chemikalien in Spielzeug. In dieser Funktion konnte er zwei gesetzliche Regelungen zur Begrenzung von Formaldehyd und Anilin in bestimmten Spielzeugen initiieren.

Der Verbraucherrat hatte auch eine führende Rolle bei der Entwickung einer Richtlinie betreffend Chemikalien in Kinderartikeln (CEN/TR 13387-2). Im September 2017 wurden Arbeiten begonnen mit dem Ziel, die Richtlinie in eine Norm umzuwandeln. Trotz einiger Widerstände und einiger Verzögerungen - unter anderem aufgrund der Corona-Maßnahmen - ging die Entwicklung des Normentwurfes gut voran. Die öffentliche Umfrage wird für Herbst 2021 erwartet.

Freisetzung von Chemikalien aus Plastikspielzeug

Seit vielen Jahren befasst sich der Verbraucherrat intensiv mit dem Thema "Freisetzung von Chemikalien aus Kunststoffen". Im Rahmen einer Diplomarbeit am Institut für Lebensmittelchemie der Technischen Universität Wien wurde 1996/97 das Migrationsverhalten eines Weichmachers (Diäthylhexylphthalat) aus einer PVC-Folie untersucht. Es zeigte sich, dass unter Praxisbedingungen weit höhere Mengen der Substanz freigesetzt werden, als dies bei üblichen Prüfungen von Lebensmittel-verpackungen zum Ausdruck kommt. Der bei Lutschversuchen ermittelte Wert lag etwa um das 25-fache über dem Ergebnis von statischen Migrationsprüfungen, bei welchen die zu prüfenden Materialien in eine definierte Lösung (Simulans) einfach eingetaucht werden. Von Bedeutung ist dies im Hinblick auf Spielzeug und Kinderartikel, welche von kleinen Kindern in den Mund genommen werden.

Kleinkind mit einem Plastikspielzeug im Mund

In einer weiteren Diplomarbeit stand die Freisetzung von Phthalaten aus PVC – Beißringen im Mittelpunkt. Wiederum wurden, wie schon in der ersten Arbeit, praktische Lutschversuche durchgeführt. Es bestätigte sich auch bei diesen Produkten, dass die Migration beim Lutschen oder Beißen deutlich höher ist als bei statischen Laborprüfungen. Damit können bedenklich hohe Mengen dieser Substanzen von kleinen Kindern aufgenommen bzw. die entsprechenden Grenzwerte überschritten werden. Die Arbeit wurde im Jahr 2000 publiziert: "Migration of di-(2-ethylhexyl)phthalate (DEHP) and diisononyl phthalate (DINP) from PVC articles" (siehe "Downloads Projekt").

Die bisher durchgeführten Untersuchungen sind, wie eine Reihe von Anfragen aus dem Ausland zeigen, auf großes Interesse gestoßen. Dem Beispiel des Verbraucherrates folgend wurden im Rahmen einer groß angelegten niederländischen Studie später gleichfalls praktische Lutschexperimente durchgeführt. Unter anderem wurden die Ergebnisse der Studien vom EU Scientific Committee on Toxicity, Ecotoxicity and the Environment (CSTEE) - ein europäischer Toxikologenausschuss, der die Kommission berät - bei der Bewertung dieser Chemikalien herangezogen.

Die Kommission hat 1999 vorläufige Anwendungsverbote von Phthalaten in Spielzeug und Kinderartikeln erlassen, welche bestimmungsgemäß von Kindern bis 3 Jahre in den Mund genommen werden. Umwelt- und Verbraucherorganisationen haben hingegen vehement ein permanentes Verbot von Phthalaten in allen Produkten gefordert, die für Kinder dieser Altersgruppe bestimmt sind. Unter Druck der Industrie wollte die Kommission zunächst anstelle eines Verbots einen Migrationsgrenzwert festlegen. Allerdings haben die Mitgliedsstaaten dies abgelehnt.

Im Dezember 2005 wurde schließlich die Richtlinie „betreffend Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (Phthalate in Spielzeug und Babyartikeln)“ beschlossen (2005/84/EG). Diese sieht vor, dass die Phthalate DEHP (Diethylhexylphthalat), DBP (Dibutylphthalat) und BBP (Butylbenzylphthalat) in Kinderartikeln und Spielzeug generell nicht verwendet werden dürfen (Grenzwert 0.1%). Darüber hinaus werden DINP (Diisononylphthalat), DIDP (Diisodecylphthalat) und DNOP (Di-n-octylphthalat) in Spielzeug, welches in den Mund gesteckt werden kann, verboten (Grenzwert 0.1%). Diese Beschränkungen wurden später in den Anhang XVII von REACH (1907/2006) übernommen.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass Phthalate nur eine kleine Gruppe aus dem gesamten chemischen Repertoire darstellen, welches in Spielzeug eingesetzt wird. Daher hat die Kommission 1996 CEN beauftragt, entsprechende Normen zu erarbeiten. Sie sollten die wesentlichen Substanzgruppen - Lösemittel, Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Weichmacher, Monomere und Flammschutzmittel - abdecken.

Plastikspielzeug für Kleinkinder

Verbraucherrat "Leitlabor" für Weichmacher

Der Verbraucherrat hat sich gemeinsam mit dem Institut für Lebensmittelchemie der Technischen Universität Wien (heute: Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und Technische Biowissenschaften) als "lead laboratory" (das "Leitlabor" arbeitet die Methode aus, welche anschließend von zwei "peer review laboratories" überprüft wird) für den Bereich Weichmacher (außer Phthalate) beworben und wurde für diese Aufgabe auch ausgewählt.

Doch zunächst mussten die einzelnen Weichmacher, welche in die Norm aufgenommen werden sollen, festgelegt werden. Die Auswahl erfolgte auf der Grundlage von Empfehlungen einer Toxikologengruppe. Ursprünglich befanden sich 33 Substanzen auf der Liste der zu prüfenden Weichmacher. Allerdings stellte sich heraus, dass in den meisten Fällen die verfügbaren toxikologischen Daten unzureichend für eine Risikobewertung waren.

Darüber hinaus hat die Kommission darauf bestanden, dass nur solche Chemikalien in die Norm aufgenommen werden, die nach europäischen Chemikalienrecht als gefährlich klassifiziert sind (die Kommission war besorgt über die Verzögerungen bei der Normerstellung und wollte weitere Arbeitsverzögerungen verhindern). Somit werden nur 4 Weichmacher in die Normen (EN 71-9 bzw. -11), die 2005 erschienen, aufgenommen.

Ungeachtet dessen erfasste die analytische Arbeit des Verbraucherrates mehr als 20 verschiedene Weichmacher. Nach erfolgreicher Prüfung der Ergebnisse durch zwei Laboratorien (LGA, Nürnberg und AIJU, Alicante) konnte der Projektbericht im Februar 2003 fertig gestellt werden. Bald darauf wurde er von der CEN Arbeitsgruppe angenommen. Diesen Bericht gibt es als PDF-Datei zum Download: "Determination of plasticizers" (siehe "Downloads Projekt").

Der Verbraucherrat hat danach eine Folgestudie in Auftrag gegeben, um die Methode in der Praxis zu erproben. Es konnten die Ergebnisse der Validierung der ersten Studie bestätigt werden, wobei diesmal reale Spielzeugproben zum Einsatz kamen. Auf Weichmacher untersucht wurden 20 im Wiener Raum gekaufte Spielzeugproben. Bedenkliche Phthalate wurden in zwei Proben in höherer Menge gefunden. Auch diese Arbeit gibt es als PDF-Datei: "Plasticizers in toys: Method validation using toy samples and analysis of toys" (siehe "Downloads Projekt").

Laborgerät

Überarbeitung der Spielzeugrichtlinie

Die 1988 erstmals in diesem Bereich beschlossene Spielzeugrichtlinie der EU (88/378/EEC) wies große Lücken auf. Daher haben die europäischen Verbraucherverbände ANEC und BEUC eine deutliche Verschärfung der chemischen Anforderungen bei der Überarbeitung der Richtlinie verlangt. Der Verbraucherrat hatte eine führende Rolle bei der Ausarbeitung mehrerer Positionspapiere, die in diesem Zusammenhang erstellt wurden.

Leider wurden diese Forderungen nur sehr beschränkt in die überarbeiteten Richtlinie (2009/48/EG) aufgenommen. Es gab zwar beispielsweise ein Verbot von CMR-Stoffen, aber mit sehr hohen Konzentrationsschwellen basierend auf den Einstufungsregeln für Gemische nach der Verordnung 1272/2008/EC über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP) welche zum Beispiel Konzentrationen bis zu 0,1% für Karzinogene oder Mutagene der Kategorien 1A oder 1B und sogar bis zu 1% für Karzinogene oder Mutagene der Kategorie 2 erlauben. Für reproduktionstoxische Stoffe sind bis zu 0,3% zulässig für die Kategorien 1A oder 1B und bis zu 3% für die Kategorie 2. Diese Bestimmungen wurden in einer Stellungnahme des Wissenschaftlichen Ausschusses "Gesundheits- und Umweltrisiken" ("Scientific Committee on Health and Environmental Risks, SCHER") zu organischen CMR Stoffen in Spielzeug im Jahr 2010 als unzureichend qualifiziert. Die Grenzwerte müssen also deutlich herabgesetzt werden.

Eines der fundamentalen Defizite der Richtlinie besteht darin, dass die Kommission nur spezifische Grenzwerte für Chemikalien in Spielzeug für Kinder bis 36 Monate und anderes Spielzeug, das bestimmungsgemäß in den Mund genommen wird, auf der Basis eines Komitologie-Verfahrens festlegen kann. Solche Grenzwerte wurden für mehrere Substanzen verabschiedet - der Verbraucherrat konnte zwei gesetzliche Regelungen zur Begrenzung von Formaldehyd und Anilin initiieren, gelten aber nicht für Spielzeug für ältere Kinder. Das ist absurd. Die Richtlinie sollte ein Ausschussverfahren (Abstimmung der Mitgliedsstaaten) beinhalten, welches die rasche und flexible Annahme oder Veränderung von Grenzwerten für Chemikalien für alle Arten von Spielzeug für Kinder jedes Alters und alle Arten von Stoffen einschließlich solcher für Stoffgruppen vorsehen.

Weitere Mängel, die behoben werden sollten, sind beispielsweise:

- Besonders besorgniserregende Stoffe ("Substances of Very High Concern, SVHCs"), die im Anhang XIV von REACH enthalten sind, sollten in Spielzeug verboten werden.

- Sensibilisierende Stoffe, die nicht zu den (erfassten) allergenen Aromastoffen gehören, sollten verboten werden.

- Persistente, bioakkumulative und toxische (PBT) Chemikalien, wie auch sehr toxische und sehr bioakkumulative (vPvB) Chemikalien, sollten verboten werden.

- Endokrin wirksame Substanzen (EDCs) sollten einer Prioritätenliste folgend geregelt werden.

- Migrationsgrenzwerte für Nitrosamine and nitrosierbare Substances in Spielzeug für Kinder unter 36 Monate, oder in anderem Spielzeug, welches dazu bestimmt ist, in den Mund genommen zu werden, sind nicht ausreichend und sollten reduziert werden.

- Entweder sollte ein Zulassungsverfahren für Biozide eingeführt werden, oder die derzeitige Ausnahmebestimmung für Spielzeug in der Biozidproduktenverordnung eliminiert werden.

- Nanomaterialien sollten nur dann verwendet werden dürfen, wenn es ein wissenschaftlicher Ausschuss akzeptiert.

- Langfristig sollte ein Zulassungssystem (Positivlisten-System) für bestimmte Stoffe wie Farbstoffe oder Konservierungsstoffe in bestimmten Spielzeugen ähnlich den Bestimmungen der Kosmetikverordnung eingeführt werden.

Die europäische Kommission veröffentlichte ein Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen - Staff Working Document - betreffend die Evaluierung der Spielzeugrichtlinie und die zugehörige Kurzfassung - Executive Summary - im November 2020. Es wird festgehalten, dass "die Leistungsfähigkeit der Richtlinie in einigen Punkten eingeschränkt ist, besonders was Chemikalien betrifft" was "dringende Aufmerksamkeit erfordert" und betont einige Punkte, die bereits oben erwähnt wurden. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass zumindest einige Defizite beseitigt werden - es wird aber Jahre dauern.

Chemikalien in Kinderartikeln außer Spielzeug

Unter der Leitung des Verbraucherrates (Franz Fiala) wurde die Leitlinie CEN/TR 13387-2 "Artikel für Säuglinge und Kleinkinder - Sicherheitsleitfaden - Teil 2: Chemische Gefährdungen" ("Child use and care articles - General safety guidelines - Part 2: Chemical hazards") des CEN TC 252 erarbeitet und im Juli 2015 veröffentlicht, drei Jahre später folgte die Publikation einer revidierten Fassung. Die anderen Teile der Serie befassen sich mit der Sicherheitsphilosophie und der Sicherheitsbewertung (Teil 1), mechanischen Gefahren (Teil 3), thermischen Gefahren (Teil 4) und Produktinformation (Teil 5). Diese Leitlinien sollen primär die Aktivitäten der Arbeitsgruppen des Technischen Komitees (TC) unterstützen, wenden sich aber grundsätzlich auch an außenstehende Kreise, die mit der Sicherheit dieser Produkte zu tun haben.

Leider wurden aber die Empfehlungen zum Thema chemische Gefährdungen bei der Erstellung von spezifischen Normen nur unzureichend aufgegriffen. Daher wurde in weiterer Folge die Aufrüstung der Richtlinie zu einer Norm diskutiert. Schließlich gab das Technische Komitee im September 2017 grünes Licht für die vorläufige Aufnahme in sein Arbeitsprogramm. Eine solche erlaubt es, die Ausarbeitung einer Norm zu beginnen, stellt aber noch keine endgültige Entscheidung dar, diese auch tatsächlich fertigzustellen.

Nach mehreren Jahren Diskussion wurde ein Entwurf mit dem Titel "Child care articles - Chemical hazards - Requirements and test methods" fertiggestellt. Bei der folgenden Abstimmung wurde die nötige Mehrheit knapp verfehlt. Daher verzögerte sich die Veröffentlichung des Normentwurfes (öffentliche Umfrage). Auch die Corona-Maßnahmen haben zu einer weiteren Verzögerung geführt. Der Entwurf wurde nochmals bearbeitet und im Sommer 2021 erneut einer Abstimmung unterzogen. Diesmal wurde die nötige Mehrheit erreicht. Somit wird das Dokument zur öffentlichen Kommentierung bereitgestellt. Es ist erfreulich, dass das Niveau des Entwurfes über den im Spielzeugbereich gültigen Regeln liegt, welche einen wesentlichen Bezugspunkt darstellten.

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